Vielerorts wurde heute in Deutschland der beiden am Montag in Rheinland-Pfalz ermordeten Polizeibeamten mit einer Schweigeminute gedacht.
Leider gehört Schweigen nicht zu den herausragenden Eigenschaften deutscher Berufspolitiker. Anstatt einfach mal ein paar Tage die Füße bzw. das Mundwerk still zu halten und die polizeilichen Ermittlungen abzuwarten, quatscht man munter in jedes hingehaltene Mikrofon. Natürlich kann man nicht einfach zugeben, dass man keinen blassen Schimmer hat, was da alles schiefgelaufen ist. Man hält die Bürger für totalbescheuerte Vollidioten, die nicht selbst wissen, dass kein Gesetz und keine Dienstvorschrift dieser Welt bewaffnete Kriminelle davon abhalten kann, auch noch so gut ausgebildete und ausgerüstete Polizisten unvermittelt anzugreifen, zu verletzen oder gar zu töten.
Statt dessen sucht man längst Sündenböcke, die man in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung zerren und an denen man sich dann medienwirksam abarbeiten kann. Zwar gibt es, wie nach jedem Verbrechen mit Schusswaffenbeteiligung, auch wieder die obligatorischen Rufe nach Waffenrechtsverschärfungen, doch dieses politfolkloristische Ratlosigkeitsritual verfängt beim Publikum dieses Mal nicht. Wie bereits nach dem Amoklauf von Heidelberg wird offenbar, dass Gesetze keinen Verbrecher davon abhalten, ein vorsätzliches Tötungsdelikt mit einem Tatmittel zu begehen, welches er gar nicht legal erwerben, besitzen, führen oder außerhalb zugelassener Schießstätten bzw. bei der Jagdausübung abfeuern dürfte. Und das völlig unabhängig davon, ob dies im Waffengesetz von 60 oder 600 Paragrafen geregelt wird.
Aber ein Sündenbock muss her, und wenn es nicht die bösen Jäger oder Sportschützen sind, dann zieht man eben aus der Mottenkiste die nächste verachtenswerte Gruppe hervor: Die bösen Gamer, die sich an ihren wassergekühlten Hochleistungsrechnern nur deshalb in die virtuellen Welten von Counterstrike & Co. stürzen, um sich dort angeblich ihre Empathiefähigkeit abzutrainieren. Um dann ein paar Tage später im Pfälzer Wald auf der Rückfahrt vom Wildern völlig kaltblütig Polizisten zu ermorden. So, ungefähr, scheint das jedenfalls Kurt Beck, der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, zu sehen:
„Eine solche Rohheit hat auch etwas damit zu tun, dass wir insgesamt schrittweise Übergriffe hingenommen haben“, sagt Beck und findet auch einen klaren Schuldigen. Dabei handelt es sich um das Internet und bestimmte Videospiele, durch die die Brutalität in die Gesellschaft schleiche und die Hemmschwelle für Gewalt senke.
https://www.ludwigshafen24.de/region/kusel-doppelmord-polizei-wilderer-kurt-beck-killerspiel-videospiel-91281017.htm
3D-Shooter gib es seit etwas mehr als dreißig Jahren, das äußerst populäre “Counterstrike” seit 1999. Entsprechend besorgniserregend hat sich in dieser Zeit die Anzahl von Tötungsdelikten in Deutschland entwickelt. Während in der Vor-Counterstrike-Ära nur 0,13% der Todesfälle in Deutschland auf ein Tötungsdelikt entfielen, waren es 2019 schon erschreckende 0,06%. Ein Rückgang bei Tötungsdelikten um mehr als die Hälfte, seit es “Counterstrike” gibt, während Herr Beck vom Gegenteil auszugehen scheint. Weiter kann die Vorstellungswelt eines politischen Ex-Würdenträgers von der Wirklichkeit nicht auseinanderklaffen.

Deutschland hat kein Problem mit legal Waffen besitzenden Bürgern und kein Problem mit Menschen, die in ihrer Freizeit in virtuelle Welten eintauchen und eine moderne Version von “Räuber und Gendarm” spielen. Womit Deutschland zunehmend ein Problem hat, ist eine völlig von der Lebenswirklichkeit entrückte politische Elite, der jeder Realitätssinn abhanden gekommen ist.
Titelbild: The Scapegoat (Der Sündenbock) William Holman Hunt (1854)
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