Sind Sie ein guter Mensch? Bestimmt wollen Sie das bejahen. Wer sagt da schon nein? Aber wissen die anderen Menschen auch, dass Sie ein guter Mensch sind? Wenn Sie auf diese Frage nicht mit einem überzeugten „Ja“ antworten können, dann können Sie aktiv etwas tun. Werben Sie für ihre erhabene Moral und Ihre angepasste Haltung. Zeigen Sie Flagge für den Zeitgeist. Zeigen Sie allen, dass Sie zu „den Guten“ gehören. Beweisen Sie sich als ein moderner „Bessermensch“.
Erster Grundsatz: Zeigen Sie allen, dass Sie nicht „rechts“ sind. Nur links ist gut. Links ist Moral. Zeigen Sie Ihre Moral. Wann immer irgendwo eine „Demo gegen rechts“ ist, gehen Sie hin. Beschreiben Sie ein Pappschild mit „Hier Name der Stadt einsetzen – bleibt bunt“ und machen Sie am besten ein Selfie, das Sie dann unter dem Hashtag #bunt in ihren sozialen Netzwerken teilen. Wer auch immer es ist, gegen den Sie da demonstrieren und wie „rechts“ diese Person oder Gruppe tatsächlich ist, ist übrigens egal. Es geht hier um Sie und um Ihre Moral. Sie sind besser. Sie sind Bessermensch. Und jeder soll das sehen.
Das gilt natürlich auch für die großen Fragen der Umwelt- und Klimapolitik. Indem Sie sich unkritisch auch noch mit der radikalsten grünen Forderung solidarisieren, können Sie zeigen, dass Sie Verantwortung übernehmen. Weisen Sie dazu bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hin, dass Verbrennungsmotoren verboten gehören. Beschreiben Sie schnelles Autofahren als Ausdruck toxischer Männlichkeit (oder Fraulichkeit) und nennen Sie jeden, der schneller als 130 fahren will, einen Raser. Fordern Sie am besten auch das allgemeine Tempolimit, um es diesen Rasern so richtig zu zeigen. Behaupten Sie schließlich, es gehe Ihnen bei Ihrer Forderung ums Klima, auch wenn der Klimaeffekt selbst nach der Untersuchung eines klimafreundlichen Verkehrsinstituts nur einen Anteil von 0,6 bis 1 Prozent des derzeitigen Ausstoßes des Verkehrssektors ausmachen würde.
Der Verkehr eignet sich überhaupt sehr gut, um zu beweisen, wie gut Sie sind. Folgen Sie dem Beispiel mutiger „Aktivisten“: Auch Sie können sich mitten im Berufsverkehr mit Superglue auf einer Straße festkleben. Damit verhindern Sie, dass hunderte fleißige Menschen morgens zur Arbeit kommen. Zeigen Sie diesen Menschen, dass Sie besser sind und verhindern Sie, dass sie mit ihren Autos Klima und Umwelt verpesten. Irgendwann kommt die Polizei und wird versuchen, Sie behutsam vom Teer zu lösen. Wenn dabei auch nur ein Fingernagel abbricht, sollten Sie zeigen, dass Sie sich eine solche Polizeigewalt nicht bieten lassen. Werfen Sie der gesamten deutschen Polizei unangemessene Härte vor. Natürlich hätte die Polizei auch anderes Wichtiges zu tun, als Sie vom Teer zu lösen. Aber bedenken Sie: Was könnte wichtiger sein als Sie und ihre Moral? Als „Aktivist“ sind Sie schließlich ein Bessermensch. Bleibt im von Ihnen verursachten Verkehrschaos ein Krankenwagen stecken, in dem jemand sterben sollte, dürfen Sie sich daran keine Schuld geben. Sie wollten ja nur das Klima retten.
Vermutlich haben Sie es mitbekommen: Deutschland hat eine Energiekrise. Aber auch Sachen Energieversorgung können Sie mit einfachen Kniffen Ihre vorbildliche Haltung zeigen: Kleben Sie einen „Atomkraft? Nein Danke“-Aufkleber auf das Schutzblech Ihres Fahrrads oder Heck Ihres Autos und fordern Sie, dass man auf keinen Fall die drei noch laufenden Atomkraftwerke in ihrer Laufzeit weiterverlängert. Ignorieren Sie die hohen Sicherheitsstandards für deutsche Kernkraftwerke, dass selbst unmittelbare europäische Nachbarländer Atomkraft in ihrem Energiemix behalten. Wenn Sie jemand nach Ihrer Lösung für die Energiekrise fragt, antworten Sie einfach „mehr regenerative Energie“: Mit dieser grünen Universalantwort zählen Sie immer zu den Guten. Dass der grüne Klimaminister derzeit verzweifelt auf Kohlekraft setzt, um russisches Gas einzusparen, darf Sie wiederum nicht stören. Folgen Sie diesem gedanklichen Öko-Spagat. Sie sind schließlich einer der Guten.
Kommen wir zu einem wichtigen Begriff, den Sie als Bessermensch verinnerlichen müssen: Toleranz. Toleranz sollte Ihnen mindestens so wichtig sein, dass Sie sie mit Akzeptanz gleichsetzen und jeden, der das nicht tut, als intolerant ansehen. Um Ihre Haltung zu demonstrieren, gibt es tausende Möglichkeiten. Sie können sich zum Beispiel mit Accessoires in Regenbogenfarbe schmücken und damit signalisieren, wie tolerant Sie sind. Betrachten Sie Menschen, die so etwas nicht tun, als rückständig und unaufgeklärt. Verteidigen Sie außerdem jede Forderung, die von LSBTQ-Interessensgruppen kommt und verurteilen Sie jede Diskussion darüber als „homophob“. Behaupten Sie, dass es ohnehin keine biologischen Geschlechter gäbe. Sieht das jemand anders, werfen Sie ihm unbedingt eine „transphobe“ Einstellung vor und verbieten Sie der Person den Mund. So beweisen Sie Ihre Toleranz.
Auch für einen Bessermenschen muss Toleranz aber Grenzen haben. Hat jemand in Fragen wie Corona-Maßnahmen, Impfpflicht oder Ukraine-Krieg eine auch nur teilweise andere Meinung als Sie, haben Sie nicht nur das Recht, ja sogar die moralische Pflicht, ihre Etikettier-Maschine herauszuholen. Vergeben Sie wahlweise Etiketten wie: Corona-Leugner, Schwurbler oder Putin-Versteher und behaupten Sie zu jedem Gegenargument, dass es der AfD in die Hände spielt. Krisenthemen sind eine wunderbare Möglichkeit, zu den Guten zu gehören und es jeden wissen zu lassen. Durch unsere ausgewogenen Massenmedien können Sie meistens recht schnell sehen, welche Meinung Sie annehmen müssen, um zu den Guten zu gehören. Ein toller Service. Sobald Sie eine Meinung angenommen haben, müssen Sie sie natürlich auch gegen Widerstand verteidigen. Behaupten Sie, abweichende Informationen sind nicht seriös, auch wenn Sie sich inhaltlich kein bisschen mit ihnen befasst haben sollten. Ein Bessermensch hat sowas nicht nötig.
Zu guter Letzt noch ein sprachlicher Hinweis: Wer richtig gut sein will, muss natürlich auch die Sprache der Guten sprechen. Sie haben in der Schule noch gelernt, dass das generische Maskulinum den Plural unabhängig vom Geschlecht ausdrückt und Geschlechter gleichermaßen anspricht? Da hat man Ihnen übel und sexistisch mitgespielt! Zeigen Sie, dass Sie zu den Guten gehören wollen, indem Sie die deutschen Dichter und Denker vom Sockel reißen und durch Dichter*innen und Denker*innen ersetzen. Belästigen Sie Ihre Koleg*innen, Freund*innen und Mitbürger*innen auch gegen deren ausdrücklichen Willen mit Ihrem neu-grammatikalischen Besserdeutsch. Als Bessermensch wissen Sie schließlich besser mit der deutschen Sprache umzugehen als ihr Gegenüber oder solche Stümper wie Goethe.
Sind Sie ein guter Mensch? Zeigen Sie es, indem Sie einfach diesen ganz und gar nicht ironisch formulierten Empfehlungen folgen.
Ein Gastbeitrag von Dana Guth. Sie ist Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags.
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