Der Erzbischof von München und Freising Kardinal Reinhard Marx hat im Mai 2021 Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten. Hintergrund für diesen Schritt war die Übernahme von Verantwortung im Zusammenhang mit dem tausendfachen Kindesmissbrauch seitens der katholischen Kirche sowie dem Wunsch, sich in den nächsten Jahren vor allem der Seelsorge und der Erneuerung der Kirche zu widmen. Eine Entscheidung mit Wucht, die seinesgleichen in diesen Zeiten suchte. Der objektive Betrachter konnte den Eindruck gewinnen, jetzt bewegt sich die Kirche zum Wohle der Missbrauchsopfer.
Zuvor wollte Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier diesem noch das Bundesverdienstkreuz verleihen. Auf Druck der Vertreter der Missbrauchsopfer lehnte Kardinal Marx die Verleihung ab. Der Bundespräsident sah in diesem Kontext keine Notwendigkeit, von der Verleihung des bundesdeutschen Ordens Abstand zu nehmen.
Nun die Entscheidung des Papstes: „Mach´ weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising“. Aus Sicht des Papstes befindet sich die Kirche insgesamt in der Krise wegen des Missbrauchs. Die Kirche müsse für die Geschichte des Missbrauchs Verantwortung übernehmen. Franziskus begründet seine Entscheidung weiterhin metaphorisch: „Die ´Vogel-Strauß-Politik` hilft nicht weiter. Gute Vorsätze bringen nichts, wenn man nicht parallel das ´Fleisch auf den Grill` legt“. Laut Franziskus könne die Kirche angesichts des Verbrechens nicht gleichgültig bleiben.
Aus der Perspektive der Missbrauchsopfer wirkt diese päpstliche Argumentation wie eine „schallende Ohrfeige“. Rom liefert wieder nur „warme und empathische Worte“, Taten fehlen wie üblich. Wann soll aus Sicht des Papstes denn die Verantwortung übernommen werden?
Die Vertreter der Missbrauchsopfer äußern sich enttäuscht über die Papst-Reaktion. Das Rücktrittsgesuch von Reinhard Marx hat eine „Wucht“ erzeugt, tatsächlich und persönlich Verantwortung für den tausendfachen Kindesmissbrauch zu übernehmen. Diese Wucht nahm der Papst durch die Nichtannahme des Rücktritts.
Vielmehr moderierte Papst Franziskus die Begründung des Rücktrittsgesuches weg. Damit wolle er vermutlich sein eigenes Amt schützen und entlasten. Von dem zugesagten „radikalen Neuanfang“ kann nunmehr keine Rede sein.
Eines offenbart die päpstliche Entscheidung allemal: Die Berichterstattung in den deutschen Leitmedien erfolgt aus der Perspektive des Papstes. Hier zeigt sich eine „spirituelle Macht“ des katholischen Kirchenoberhauptes bis in die Redaktionen. Beobachtbar ist, dass angehende – und bereits im Amt befindliche Spitzenpolitiker – der Kirche beitreten bzw. angehören.
Selten bis gar nicht kommen Politikerinnen und Politiker in politische Führungsämter, wenn sie nicht der katholischen (oder protestantischen) Kirche angehören. Ähnliches verhält sich mutmaßlich in den zentralen Redaktionen der Leitmedien.
Im Sinne der Kirchensprache der „Menschlichkeit“, „Nächstenliebe“ und Empathie versagt sowohl die katholische Kirche selbst aber auch sämtliche die kritikfreie Papstentscheidung berichtenden Leitmedien, besonders die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten.
Die Missbrauchsopfer gehören in das Zentrum der Betrachtung! Aus den Augen der Missbrauchsopfer betrachtet, lässt das kirchliche und mediale Verhalten nur eine Aussage zu: Schämt euch!
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