Das deutsche Wahlrecht und die technisch-mathematische Zusammensetzung des Deutschen Bundestages gehört für viele Menschen nicht zu den zentralen Lebensthemen. Dennoch ist es aufschlussreich, öfter einmal darauf hinzuweisen, dass das Bundesgebiet in 299 Wahlkreise eingeteilt ist, aus denen jeweils ein mit relativer Mehrheit gewählter Kandidat in den Bundestag einzieht. In selber Höhe (also 299) ziehen Kandidaten über die so genannte Landesliste in das deutsche Parlament ein. Die Landeslisten werden von den Parteien intern aufgestellt. Insgesamt ergeben sich somit 598 Sitze im Deutschen Bundestag – soweit zur Theorie.
Aktuell sitzen 709 Abgeordnete im 19. Deutschen Bundestag. Das Parlament mit Sitz im Berliner Reichstagsgebäude stellt damit nach China das zweitgrößte Parlament in der Welt dar. Diese Größe konnte der Deutsche Bundestag durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erreichen, das Vorgab, die „Überhangmandate“ durch „Ausgleichsmandate“ auszugleichen, damit das Zweitstimmen-Ergebnis der Bundestagswahl durch die „Überhangmandate“ nicht verfälscht wird.
Um einen bei der Bundestagswahl 2021 noch größeren Bundestag zu vermeiden, beschloss der aktuelle Bundestag am Ende der Legislaturperiode eine Wahlrechtsreform. Diese Reform vollzieht sich in zwei Schritten. In einem ersten Schritt (2021) werden die ersten drei Überhangmandate nicht mit Ausgleichsmandaten kompensiert. Im zweiten Schritt (2025) wird die Zahl der Wahlkreise von jetzt 299 auf dann 280 reduziert. Anders ausgedrückt: Zur Bundestagswahl 2021 vollzieht sich ein „Wahlrechtsreförmchen“ und im Jahr 2025 eine „Wahlrechtsreform“.
Zu dieser Thematik des Bundestagswahlrechts hat die „Bertelsmann Stiftung“ nunmehr eine Analyse vorgelegt. Die nüchterne Erkenntnis der Analyse lautet: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der neue 20. Deutsche Bundestag wahrscheinlich größer ausfällt als der aktuelle Bundestag der 19. Legislaturperiode.
Eine weitere Schlussfolgerung lautet, dass je größer der Bundestag ausfällt, desto größer stellen sich die Widerstände seiner Verkleinerung dar und ein politischer „Minimalkonsens“ steht am Ende.
Auf der Grundlage aktueller Umfragen zum Ausgang der Bundestagswahl am 26. September 2021 entwirft die Analyse der „Bertelsmann Stiftung“ durchaus bemerkenswerte, wenn nicht erschreckende Szenarien:
- Sehr theoretisch wäre ein Deutscher Bundestag mit seiner Regelgröße von 598 Abgeordneten.
- Ein „XXL-Bundestag“ mit 963 Abgeordneten wäre möglich.
- Ein „XL-Bundestag“ mit 857 Abgeordneten ist denkbar.
- Ein „L-Bundestag“ mit 710 Abgeordneten könnte sich ergeben.
Welches Szenario am Ende des Wahlabends steht, hängt davon ab, wie viele Direktmandate die CDU erreicht. Kommt die CDU auf 286 der 299 Direktmandate, so kommt der „XXL-Bundestag“ zustande. Die hohen Direktmandate ergeben sich auch daher, dass viele Wähler ihre Erststimme einer anderen Partei (genauer dessen Kandidaten im Wahlkreis) geben, als sie mit der Zweitstimme wählen. So wählen etwa Wähler der FDP (Zweitstimme) häufig den CDU-Direktkandidaten, weil dieser somit eher als ein FDP-Kandidat die Chance hat, den Wahlkreis zu gewinnen und im Bundestag als direktgewählter Kandidat eher eine Koalition aus CDU und FDP mitträgt.
Im Ergebnis zieht die beschlossene Wahlrechtsreform in ihrem ersten Schritt offenbar nicht. Der 19. Deutsche Bundestag hatte nicht die Kraft einer echten Reform. Die Begründung dafür liefert die bayerische CSU: Sie gewinnt traditionell alle 46 Wahlkreise direkt. Damit ist sie aktuell nicht bereit gewesen, bereits jetzt einer Verringerung der Wahlreise von 299 auf 280 zuzustimmen. Das nennt sich dann wohl „politisches Machtkalkül“.
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