Warum nicht Notwehr?

Foto: Rechtsanwalt Markus Roscher-Meinel

Ein 41-jähriger Türke wird an Halloween, nachts in einem S-Bahntunnel, von vier jungen „Männern“ umstellt und bedroht. Er hat Angst um sein Leben und das seiner Begleiterin. Am Ende ersticht er den dreizehnjährigen Palästinenser Mohammed („Momo“), der aus Syrien nach Deutschland kam, und verletzt einen weiteren 22-jährigen schwer. Das Landgericht Berlin verurteile am 20. Mai den schwer herzkranken Türken wegen Totschlags zu 12 Jahren Haft. Ein durchaus hartes Urteil, das man sich in so vielen anderen Fällen gewünscht hätte. Doch was unterscheidet diesen Fall von anderen?

Sicherlich ein schwerer Fall, dessen Beurteilung eine nahezu hundertprozentige Gewissheit über den Tatverlauf voraussetzt. Doch ein Begriff wird jedem Strafverteidiger bei einer 4:1-Kostellation sofort im juristischen Gedächtnis erstrahlen: Notwehr und ggf. auch Nothilfe. Wir wissen von vier, zumindest teileweise erwachsenen, Personen, die den Täter umstellt hatten. Und auch der potenzielle Messerstich eines Dreizehnjährigen ist nicht minder tödlich. Gewisse Schwierigkeiten mit dem Gesetz hatten offenbar alle Beteiligten. Hinzukommen der düstere Ort und die Tatzeit, die einen Menschen in einer Bedrohungssituation in Panik versetzen können, wenn man den Angriff vier junger Männer zu befürchten hat. Die Strafverteidigerin hatte einen Freispruch gefordert. Ein solcher Antrag ist naheliegend. Warum es am Ende nicht dazu kam, lässt sich kaum beurteilen, wenn man nicht alle Hintergründe der Strafverhandlung und der Strafakte kennt. Es bleibt dennoch bei Kenntnis aller bekannten Umstände auch für mich als Fachanwalt für Strafrecht und langjähriger Strafverteidiger ein Rätsel, warum es ausgerechnet in diesem Fall zu dieser recht harten Verurteilung gekommen ist und man fragt sich: Wann, wenn nicht hier, kann überhaupt noch von einer Notwehrhandlung gesprochen werden?

Ein Gastbeitrag von Markus Roscher-Meinel. Er ist Fachanwalt für Erbrecht und Strafrecht.


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