Weihnachten, das Fest der Liebe – Vorausgesetzt Sie sind geimpft oder genesen!

Dana Guth

Das Ende des Jahres rückt näher und seit Wochen ringt die Politik um eine Frage: Wie können in der Pandemie Weihnachtsmärkte ermöglicht werden? Der durchschnittlich politikinteressierte Bürger könnte annehmen, dass es darum geht, der coronagebeutelten Bevölkerung ein Stück Normalität zurückzugeben, den Geist der Weihnacht über dem Land auszubreiten. Eine Zeit der Besinnung, des füreinander da Seins, des zueinander Findens. Das wäre gut. Das wäre nötig. 
Die wahren Motive sind deutlich trivialer. Die Schaustellerbranche hat in den letzten zwei Jahren fast ihre Existenz eingebüßt und hängt der Politik im Nacken. Nicht zuletzt deswegen dürfen die Weihnachtsmärkte in diesem Jahr deutlich früher öffnen. 

Wenn ich gedacht hätte, dass mich im Deutschland 2021 nichts, aber auch gar nichts mehr überraschen könnte, wurde ich in dieser Woche eines Besseren belehrt. Ein Artikel im „Focus“ titelte: „Auf einem Hamburger Weihnachtsmarkt trennt ein Zaun Geimpfte und Ungeimpfte“. Man berichtete über einen Weihnachtsmarkt vor dem Hamburger Rathaus, der tatsächlich in zwei Bereiche aufgeteilt sei. Als wäre diese Vorgehensweise nicht schon schlimm genug, schilderte der Verursacher dieses Artikels die Sachlage wie folgt: „Im 2G Bereich finden sich die gastronomischen Angebote zum Vor-Ort-Verzehr. Hier kann man gemütlich beisammen sein, Bratwurst und Crêpes essen und warmen Apfelsaft trinken.“. „Dann herrschen weder Maskenpflicht noch Abstandsregeln.“. 

Liest man weiter, erfährt man das Kontrastprogramm: „Im offenen Bereich muss der Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt werden. Hier gibt es keine Einlasskontrollen, dafür dürfen die angebotenen Speisen wie Schmalzgebäck oder Stollen nicht vor Ort verzehrt werden.“ Ich habe vor meinem inneren Auge das diabolische Grinsen des Schreiberlings gesehen. Während die Elite der Geimpften gemütlich beisammen sitzt und sich im Zweifel – da ungetestet – gegenseitig ansteckt, schleicht der Ungeimpfte mit seiner Maske über den Teil des Marktes, der den Ungehorsamen zugänglich ist.  Selbstverständlich soll er nicht wagen, vor Ort seine Schmalzkuchen zu essen. Die gibt es für Ungehorsame kalt zu Hause. Strafe muss sein! Von solchen Bedingungen ausgehend, bleiben vermutlich die meisten Ungeimpften zu Hause und viele Geimpfte, denen eine solche Ausgrenzung gegen den Strich geht, vermutlich ebenso. 

Aus den aktuellen Erkenntnissen zum Infektionsgeschehen ist längst klar, dass die Geimpften sich ebenso anstecken und das Virus weitergeben können. Eine stete Zunahme von Impfdurchbrüchen bestätigt das. Längst sind 2G-Veranstaltungen zu Superspreader-Events geworden. Selbst Karl Lauterbach warnt vor 2G-Veranstaltungen in Innenräumen im Karneval, da jeder, der an so einer Veranstaltung teilnimmt, einen Impfdurchbruch riskiert. An solchen Aussagen zeigt sich, dass es bei den Weihnachtsmarktregeln weder um Infektionsschutz, noch um eine Risikominimierung geht. Dies wäre nur der Fall, wenn ausschließlich Getesteten Zugang zur Gastronomie gewährt würde. Damit würde man jedoch den Zorn der Geimpften auf sich ziehen. Diese erwarten nämlich ihre Privilegien für die zwei und demnächst auch drei Pikse. Sarkastisch gefragt: Wo kämen wir hin, wenn die Geimpften sich aus Sicherheitsgründen nun auch testen lassen müssten? Wofür waren Sie denn dann  zum Impfen? Eine allgemeine Testpflicht würde nicht nur die Versprechungen der Regierung konterkarieren, es würde auch die Frage aufwerfen, ob sich der „Impf-Booster“ wirklich lohnt. Der Booster aber muss nun schnell unters Volk. Also bitte keine lästigen Fragen! 

Ich bin nicht gegen Corona geimpft, aber ich stelle mir für einen Moment vor, ich wäre es. Ich hätte mir meine Grundrechte (zumindest in Teilen) über eine Spritze zurückgeholt und würde nun auf diesen Weihnachtsmarkt gehen. Nach meiner Registrierung dürfte ich dann im Kreis der anderen „Gesalbten“ Glühwein trinken und Bratwurst essen. Dabei könnte ich mir die Besucher hinter dem Ungeimpft-Zaun ansehen. Familien, die mit Maske über ihren Teil des Weihnachtsmarkts gehen und ihren Kindern erklären müssen, dass die Zuckermandeln, die Schmalzkuchen und Schokobananen erst zu Hause gegessen werden dürfen. Die Maske als ein Kennzeichen für Ungeimpfte. Für Ungehorsame. Für Coronaleugner.

Ich hätte an so einem Weihnachtsmarkt keinen Spaß. Für mich hängen daran zu schöne Erinnerungen. Als meine Kinder noch klein waren, waren die Besuche auf Weihnachtsmärkten immer etwas Schönes. Von Stand zu Stand (oder von Karussell zu Karussell) schlendern, zwischendurch etwas Leckeres essen, unnütze aber schöne Kleinigkeiten kaufen. Die strahlenden Augen, wenn im Dunkeln die Lichterketten leuchteten und manchmal sogar Schnee rieselte. Menschen, die sich anlächelten. Fremde, die bei einem Glühwein ins Gespräch kamen. Eine schöne und freundliche Zeit.  All diese Erinnerungen lasse ich mir nicht von einem Weihnachtsmarkt nehmen, der damit nicht mehr das Geringste zu tun haben will, sondern nur noch dem Kommerz der Schausteller geschuldet ist. Und das ist keine Kritik an den Schaustellern! Eine ganze Branche wurde durch unsinnige Regeln beinahe ruiniert – eine Branche die eigentlich dafür angetreten ist, den Menschen Freude zu machen.

Was hier gerade vor aller Augen passiert, sollte uns alarmieren. Ich möchte hierzu ein zugegeben drastisches Zitat einfügen, dass ich gerade deshalb aber auch am liebsten jedem Menschen in diesem Land vorlesen würde: 

„Diese normativen Veränderungen bedeuten, dass eine Gruppe von Gesellschaftsmitgliedern sukzessive aus dem ‚Universum der allgemeinen Verbindlichkeit‘ ausgeschlossen wird, das für die Anderen, die Zugehörigen zur Mehrheitsgesellschaft, nach wie vor in Geltung ist, nun aber exklusiv wird. Dieser Vorgang ist, wie gesagt, die zentrale Voraussetzung für die Entstehung genozidaler Prozesse. Denn die Ausschließung verläuft über die Definition, dass die auszuschließende Gruppe an sich, und das heißt: jedes ihrer Mitglieder, eine Bedrohung für das Wohlergehen und letztlich für die Existenz der Mehrheitsgesellschaft ist – die dann folgerichtig ihr Heil darin erblickt, diese als bedrohlich wahrgenommene Gruppe unschädlich zu machen und, in letzter Konsequenz, zu vernichten. Deshalb geht allen bekannten Vernichtungsprozessen eine Definition der bedrohlichen Gruppe voraus, und dieser Definition schließt sich eine sich beschleunigende soziale, psychologische, materielle  und juristische Deklassierung an, die die zunächst nur behauptete Andersartigkeit der ausgeschlossenen Gruppe zunehmend in eine von den Zeitgenossen gestaltete und gefühlte Realität überführt.“

Das Zitat stammt aus dem Buch “Täter“ von Harald Welzer. Natürlich geht es mir hier nicht um einen Vergleich der historischen Situationen, sondern um die Prozesse von Ausgrenzung, vor denen sich jede Gesellschaft hüten sollte.

Mit „den Ungeimpften“ wird zunehmend eine neue „bedrohliche Gruppe“ definiert. Diese Gruppe  soll schuld sein an der nicht enden wollenden Pandemie. Sie soll schuld sein an der drohenden Überlastung der Krankenhäuser. Sie soll schuld sein am Tod von Mitmenschen. Andere Faktoren werden dabei oft vollständig ausgeblendet. Dass Viren mutieren, dass die entwickelten Impfstoffe nicht den Wirkungsgrad haben, den man sich erhofft hatte, dass man in zwei Jahren Pandemie nicht für eine massive Aufstockung der Krankenhaus-Kapazitäten gesorgt hat, sondern im Gegenteil sogar 4000 Intensivbetten abgebaut und 21 Kliniken geschlossen hat, nicht zuletzt, dass sich Millionen Ungeimpfter bester Gesundheit erfreuen und weder selbst infiziert sind noch andere Menschen anstecken. Das neue Feindbild „Ungeimpfte“ wird täglich mehr befeuert.

Hierdurch setzt eine soziale, psychologische, materielle und juristische Deklassierung ein. Es wird zur Normalität erhoben, Ungeimpfte aus dem sozialen Leben auszuschließen. Selbst wenn Sie über Tests nachweisen, dass Sie gesund sind, lässt man Sie bei 2G ohne weitere Begründung außen vor. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht äußerte noch im August gegenüber WELT AM SONNTAG, dass sie 2G für verfassungswidrig hält. Sie sagte: „Es macht einen Unterschied, ob ein Gastronom im Rahmen seiner Vertragsfreiheit sagt, ‚bei mir werden nur Geimpfte und Genesene bedient‘, oder ob der Staat so etwas vorgibt.“ Nun gibt der Staat es vor.

Psychologisch hat man diese Gruppe der Ungeimpften ebenfalls ins Aus gestellt. Coronaleugner, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner sind die permanent verwendeten und negativ konnotierten Begriffe. Materiell benachteiligt sind sie spätestens mit der Abschaffung der kostenlosen Bürgertests geworden. Völlig symptomlose Menschen müssen regelmäßig auf eigene Kosten nachweisen, dass sie gesund sind. Kommen gesunde Ungeimpfte mit infizierten Geimpften zusammen, müssen beide in Quarantäne. Der geimpfte „Verursacher“ erhält seine Lohnfortzahlung, der Ungeimpfte nicht. Auch Drohungen, den Arbeitsplatz zu verlieren, stehen zwischenzeitlich im Raum. Gesetzlich verbriefte Grundrechte, die jedem Menschen und nicht nur jedem Geimpften zur Verfügung stehen sollten, werden in Sachen Corona zu gruppenbezogenen Rechten. Eine juristische Deklassierung.

Jeder muss sich selbst fragen: Wo ist für mich Schluss? Egal aus welchem Motiv heraus Sie sich impfen ließen oder lassen, wo ist für Sie der Punkt erreicht, an dem Sie aus dieser sich immer schneller drehenden Spirale aussteigen? Was sind Sie bereit, anderen Menschen anzutun, die nichts weiter wollen, als die Entscheidungsfreiheit behalten, ob sie ihren eigenen Körper einer medizinischen Behandlung unterziehen oder eben nicht? 

Niemand muss die Entscheidung verstehen, die jemand getroffen hat, der sich nicht impfen lässt. Sie dürfen diese Entscheidung dumm oder egoistisch finden – aber Sie müssen sie respektieren, weil es nämlich nicht ihr Körper ist, sondern der Körper eines anderen Menschen. 

Zum Abschluss wünsche ich Ihnen allen, dass Sie gesund bleiben. Ich wünsche allen Ungeimpften, dass sie sich nicht infizieren und dass sie im Falle einer Ansteckung selbige gut überstehen. Ich wünsche allen Geimpften, dass ihre Impfung tatsächlich keine schlimmen Folgen für sie hat, dass sie keinen Impfdurchbruch erleiden und dass sie – sollte es doch passieren – es gut durchstehen. Vor allem aber wünsche ich uns allen wieder mehr gegenseitigen Respekt, mehr Akzeptanz und mehr Verständnis.

Ein Gastbeitrag von Dana Guth. Sie ist Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags für die LKR.


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